Von: Edge
Während der mediale Hype um Julian Assange in die nächste, etwas unspektakuläre Runde geht, ist es wichtig sich daran zu erinnern, welche Rolle Wikileaks spielt – die Plattform also, um die es eigentlich geht. Es ist haufenweise echte und digitale Tinte verschwendet und viel heiße Luft geblasen worden, ob nun Julian Assange und sein Team mit Wikileaks unverantwortlich oder zivilcouragiert handelt, indem es über 200.000 geheime Depeschen amerikanischer Botschaften zuerst ausgewählten Medien zur Verfügung stellte und schließlich weltweit öffentlich machte. Das Resultat ist bekannt: Womöglich auf Druck bzw. „Anraten“ der US-Regierung und einzelnen hochrangigen Politikern, kickten nacheinander Paypal, EveryDNS, Amazon, Visa und Mastercard die Seite von ihren Servern, machten Zahlungen zu Wikileaks unmöglich oder froren bereits gezahlte Gelder ein (Paypal hatte kurz später allerdings diese eingefrorenen Gelder wieder freigegeben). Rechtskonservative US-Kommentatoren riefen unverblümt zum Mord auf, wie von Noam Chomsky und weiteren Autoren in einem offenen Brief an die australische Premierministerin dokumentiert. Erfreulicherweise hat ein Großteil der Presse, deutsch wie international, FÜR den Erhalt von Wikileaks Stellung bezogen. Die Gründe für den medialen Support sind in drei historischen Fällen zu finden, die heute als große Würfe des investigativen Journalismus und als Triumphe der Pressefreiheit gefeiert werden: die Pentagon Papers, die SPIEGEL-Affäre und, natürlich, der Watergate-Skandal. In diesem und zwei weiteren Folgeposts werden wir diese Fälle kurz beleuchten.
Die Pentagon Papers
Die Pentagon Papers sind eine Sammlung militärischer Dokumente, die detalliert US-amerikanische Pläne zur militärischen Involvierung in Indochina während und nach dem Zweiten Weltkrieg dokumentieren, erstellt vom Pentagon unter den drei amerikanischen Präsidenten dieser Zeit: Harry Truman, John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson. Sie belegten, dass die Vereinigten Staaten entgegen der Beteuerungen seiner Staatsoberhäupter schon lange eine Invasion plante, und durch Intrigen und Manipulation forcierte. Sie belegten außerdem, dass das Pentagon den Krieg für verloren erachtete, und straften somit der öffentlichen Aussagen von Verteidigungsminister Robert McNamara Lüge.
Die geheimen Dokumente wurden von Daniel Ellsberg, einem Analysten im Verteidigungsministerium von Robert McNamara, in massivem nächtlichen Aufwand mithilfe seiner Kinder kopiert und schließlich der New York Times und der Washington Post zugespielt. Die erste Veröffentlichung löste eine verfassungsrechtliche Krise in den Staaten aus, in Form eines Angriffs auf die Pressefreiheit – eine Krise, die schließlich in einer bemerkenswerten und vielbeachteten Entscheidung des Supreme Courts zugunsten der New York Times und der Washinton Post aufgelöst wurde. Beide Blätter veröffentlichten weitere Artikel, und der amerikanischen Öffentlichkeit wurde zum ersten Mal bewusst, wie sehr die Regierung sie hinters Licht führte. Ellsberg, juristisch und politisch verfolgt, tauchte erst bei Sympathisanten unter, stellte sich aber dann doch öffentlich der US-Justiz, im Glauben, den Rest seines Lebens im Gefängnis sitzen zu werden. In der folgenden gerichtlichen Auseinandersetzung kritisierte allerdings der zuständige Richter die US-Regierung scharf und sprach anschließend Ellsberg von allen Anklagepunkten frei. Noch heute setzt sich Ellsberg für Transparenz und Pressefreiheit ein und bleibt ein streitbarer Kommentator.
Die Affäre erhöhte den Paranoia-Level der US-Regierung dermaßen, dass sie zwanghaft nach möglichen Lecks fahndete, und sich schließlich zum Einbruch bei politischen Gegnern herabließ. Die Bekanntwerdung des Einbruchs und die dazugehörigen Hintergründe gehört zu den berühmtesten politischen Skandalen der Neuzeit, und wieder spielte ein Leak die geheime Hauptrolle.
In Teil 2: Watergate und der „Deep Throat“.